© patrick borchers 2001 - graphitstift auf papier - größe 69 x 21,1x 29,7cm

Prag am Morgen, oder warum die Mülltonnen tanzen können"

Eine Stadt erfassen, sich einen Eindruck machen. Wie entdecke ich das, was alle bisher entdeckt haben, damit ich in der selben Stadt war, wie eben die anderen. Und wie entdecke ich dieses zugleich anders, damit ich nicht eine überflüssige Wiederholung der anderen bin? Diese Frage könnte sich Borchers instinktiv vorgelegt haben, denn seine Arbeit "Prag am Morgen, oder warum die Mülltonnen tanzen können" kombiniert drei konstitutive Elemente der Stadt Prag in einer Weise, die durchaus neue, "untouristische" Einblicke gewährt. Für die touristische Attraktivität stehen die bekannten Orte, die er zeichnerisch aufsucht, jüdischer Friedhof, barocke Gebäude, Straßencafes etc. Für die Plage des Tourismus stehen die Mülltonnen, vielleicht auch die Wiederholungen, das zeitweilige Wuchern, der Drang alles einheitlich konsumierbar zu machen. Das dritte Element ist nicht inhaltlicher Natur, ist nicht eine weitere Gegenstandsgruppe, sondern das dritte Element ist eine Annäherung an methodische Elemente des Barocks.
Leichtigkeit der Schwere, Disparates steht nebeneinander, ja geht wunderlich in stark reduzierter Arabeske ineinander über. Die Lebenslust z.B. eines Straßencafes steht vermittelt und unvermittelbar zugleich neben Vanitas tanzenden Mülltonnen oder Grabsteinarmeen, der Blick verspielt verwoben und doch oft direkt entschlüsselbar. Die dünne, klare und ungestische Linie der Zeichnungen wirkt leicht und streng in einem. Hier entsteht eine subtile Ambivalenz, die auf die ersten Blicke schlicht zu behaupten scheint, nichts als doch nur spielen zu wollen. Die Linearität der Erzählung täuscht, denn zum einen ist die Bewegung des Zeichnens schweifend, was die Rekurrenzen zeigen, zum anderen findet die Bewegung zum Ausgangspunkt zurück, ist somit in sich selbst gedreht wie eine unregelmäßige Perle.

Andreas Drewer